Hand in Hand für artenreiche Wiesen und Weiden

Wie können Grünland und Äcker der Kommune naturverträglicher gestaltet werden, um mehr Lebensräume für Arten zu schaffen? Mit dieser Frage beschäftigte sich Stefan Ohr, Bürgermeister der Stadt Kirchberg an der Jagst, im Sommer 2020 bei seinem jährlichen Arbeitstreffen mit Vertreterinnen und Vertretern der Stadtverwaltung und der NABU-Ortsgruppe sowie den Ortsvorstehern der Gemeinde. Gemeinsam überlegten sie, wie auf den rund 50 Hektar landwirtschaftlicher Fläche, die zu der kleinen Ortschaft in Baden-Württemberg gehören, mehr für den Naturschutz getan werden kann. Die Flächen, die überwiegend aus Grünland bestehen, werden an Landwirtinnen und Landwirte der Umgebung verpachtet.

Den Anstoß zu dieser Debatte gab Bruno Fischer, ehrenamtlich aktiv in der NABU-Ortsgruppe von Kirchberg an der Jagst. Bruno Fischer und seinen Mitstreitenden liegt viel daran, etwas gegen das Insektensterben und den Rückgang der Artenvielfalt auf den Äckern, Weiden und Wiesen rund um ihren Heimatort zu unternehmen. Eine Möglichkeit dafür ist, ökologische Aspekte bei der Bewirtschaftung der Flächen mehr zu berücksichtigen, zum Beispiel durch eine naturverträglichere Wiesennutzung. Mit diesem Anliegen wendeten sie sich im Herbst 2019 an die Stadtverwaltung und alle Gemeinderäte. Einen Tag nach ihrem Vorstoß erfuhr Bruno Fischer zufällig vom Projekt ‚Fairpachten‘: „Als ich den Flyer dazu bekommen habe, dachte ich sofort: Das ist ja genau das, was wir auch wollen! Also habe ich diesen Flyer direkt an die Stadtverwaltung und den Bürgermeister geschickt.“

Das Interesse an Fairpachten war so groß, dass Regionalberater Jochen Goedecke eingeladen wurde, um das Projekt vorzustellen. Dabei erklärte er auch, welche Naturschutzmaßnahmen auf den landwirtschaftlichen Flächen in der Kommune Kirchberg möglich wären und wie diese in künftigen Pachtverträgen vereinbart werden können. „Dabei haben wir dann gemerkt, dass die Hürden gar nicht so hoch sind, die wir und die Landwirte nehmen müssen, um mehr Naturschutzmaßnahmen umzusetzen“, sagt Stefan Ohr. Gemeinsam verständigten sie sich schließlich darauf, in neuen Pachtverträgen zu vereinbaren, dass Weiden und Wiesen nur noch zweimal im Jahr und nicht vor dem 15. Juni gemäht werden dürfen. Diese späte Mahd ermöglicht vielen Vogelarten, die bevorzugt in Wiesen brüten, ihre Brut noch vor dem ersten Schnitt großzuziehen, ohne dass ihre Nester durch das Mähwerk zerstört werden. Auch Wiesenpflanzen benötigen ausreichend Zeit für Blüte und Samenbildung, sodass bis Mitte Juni bereits eine Blütenpracht auf der Wiese entstehen kann. Außerdem soll auf Ackerflächen auf das Ausbringen von dem Pestizid Glyphosat komplett verzichtet werden, wodurch das Grundwasser und der Boden geschont, aber auch die Vielfalt von Ackerwildkräutern, Insekten und Feldvögeln gefördert werden. Um auch die anderen Landwirtinnen und Landwirte von dem gemeinsamen Anliegen zu überzeugen, wurden die Ortsvorsteher aktiv in den Prozess miteingebunden. Da im Ortsteil Lendsiedel die Neuverpachtung aller landwirtschaftlichen Flächen noch im selben Jahr anstand, setzte sich Bruno Fischer sofort mit Ortsvorsteher Bernhard Röder, der selbst auch Landwirt ist, zusammen. Gemeinsam überlegten sie, auf welchen Flächen die Maßnahmen sinnvoll sind. Dann suchte Bernhard Röder das Gespräch mit den anderen Landwirtinnen und Landwirten: „Es war ganz wichtig, dass er auf sie zugegangen ist, mit ihnen geredet und alles erklärt hat“, sagt Stefan Ohr. „Das war sicher einer der Gründe, warum das hier alles so gut geklappt hat.“ Auch bei der öffentlichen Verpachtungsaktion, bei der alle Landwirtinnen und Landwirte dabei sind, warben sie noch einmal sehr offensiv für die Naturschutzmaßnahmen – mit Erfolg: Alle, die die zur Verfügung stehenden Flächen neu gepachtet haben, stimmten zu, die Mahdtermine einzuhalten und auf Glyphosat zu verzichten. 

Im Jahr 2021 liefen auch in den Ortsteilen Gaggstatt und Kirchberg einige Pachtverträge aus. Auch hier vereinbarte die Kommune die naturverträglichere Bewirtschaftung in den neuen Pachtverträgen mit den Landwirtinnen und Landwirten. Zusätzlich wurden bei einem Teil der Flächen in Kirchberg mit Hilfe einer Förderung des Landschaftserhaltungsverbandes mehrjährige Blühstreifen angelegt, die Nahrung, Rückzugsraum und Brutmöglichkeiten für viele Arten bieten. Insbesondere Wildbienen und Schmetterlinge profitieren von der bunten Pracht. Bruno Fischer und Bürgermeister Stefan Ohr sind zufrieden. „Wir sehen das auch für die Zukunft als Modell, das wir das so weiterverfolgen können“, sagt Stefan Ohr.

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